Ehepaar Maaß

Nadine und Stephan Maaß gemeinsam vor einer Hecke stehend.

Frau Maaß, wenn Sie am 19. Januar 2022 nicht nachts aufgewacht wären und gemerkt hätten, dass mit Ihrem Mann etwas nicht stimmt, würden wir heute nicht gemeinsam bei Kaffee und Gebäck zusammensitzen.

Nadine Maaß: Absolut richtig. Ich bin an dem Tag früher als mein Mann zu Bett gegangen. Als er sich hingelegt hat, war ich schon eingeschlafen. Ich wurde allerdings gegen 2 Uhr wach durch ein Schnarchen, durch Geräusche, die ich so von meinem Mann nicht kannte. Ich merkte sofort, da stimmt was nicht. Mein Mann reagierte auch nicht.

Was haben Sie in diesem Schockmoment getan?

Nadine Maaß: Ich habe die 112, den Notruf gewählt. Nun muss man wissen, dass es für mich aufgrund meines eingeschränkten Hörvermögens normalerweise nicht möglich ist, mit fremden Personen zu telefonieren. Ich habe das der Person erklärt, die den Notruf beantwortet hat.

„Der Herr hat die Situation sehr gut eingeschätzt und mich mit kurzen, klaren Anweisungen geleitet.“

Zuerst musste ich meinen Mann irgendwie aus dem Bett auf einen harten Untergrund bekommen. Das war erstaunlicherweise sehr leicht, und ich erinnerte mich dann an das Lied der Bee Gees „Stayin‘ Alive“.

Was hat es damit auf sich?

Nadine Maaß: Meine Erste-Hilfe-Kenntnisse stammen aus der Zeit der Fahrschule. Ich habe aber bei Twitter Tweets gelesen, in denen der Takt von „Stayin‘ Alive“ als Empfehlung für die Geschwindigkeit der Herzdruckmassage beschrieben wurde. Ich habe also versucht, meinen Mann damit zu reanimieren. Wenn ich stärker und länger gedrückt habe, nahm ich eine Veränderung wahr. Ich habe an der – wenn auch unbewussten – Reaktion meines Mannes gemerkt, ob ich es richtig mache oder nicht. Wenn ich fest genug gedrückt hatte, das Herz somit‚ fest genug komprimiert wurde, bekam das Gehirn Sauerstoff. Das hat mich motiviert immer weiterzumachen. Allerdings hatte ich parallel den Notruf am Telefon und ich musste die Haustür für die Rettungskräfte öffnen. Ich war im ersten Stock, im Schlafzimmer. Wie sollten die Helferinnen und Helfer denn unten hereinkommen?!

Nadine und Stephan Maaß gemeinsam auf einem Sofa sitzend.

Wie sind Sie vorgegangen?

Nadine Maaß: Ich habe einen geeigneten Moment abgepasst, in dem ich meinen Mann kurz allein gelassen habe, nach unten gelaufen bin, die Haustür geöffnet habe – und geistesgegenwärtig auch noch unsere Hunde zur Seite gebracht und die Bilder im Flur abgehängt habe. Die Rettungskräfte wären sonst gar nicht über die schmale Wendeltreppe hoch- und mit meinem Mann wieder heruntergekommen. Vier Personen waren nötig, um ihn mit der Trage zu transportieren.

Noch einmal chronologisch zurück. Sie haben also die Haustür geöffnet und sind wieder zu Ihrem Mann hochgelaufen. Wann trafen die Rettungskräfte ein?

Nadine Maaß: Nach rund 12 bis 15 Minuten waren die Notärztin, Sanitäter und Mitarbeitende der Feuerwache Dorsten vor Ort – und dies, obwohl unser Haus nur über einen Seitenweg und ohne direkten Zugang vom Parkplatz zugänglich ist. 

Ich habe an dieses Team übergeben. Ich bin runtergegangen ins Wohnzimmer. Ich wusste, dass mein Mann jetzt in guten Händen ist und man alles tun wird, um ihn zu versorgen. Das Rettungsteam hat bis zum Transport meines Mannes ins Krankenhaus ca. 30 Minuten gebraucht, um ihn so zu stabilisieren, dass er transportfähig war. Die Notärztin sagte beim Verlassen der Wohnung zu mir:

„Er lebt wieder. Was wird, wissen wir aber nicht.“

Ihr Mann wurde ins Krankenhaus mitgenommen. Was haben Sie gemacht, Frau Maaß?

Nadine Maaß: Ich bin nicht mit ins Krankenhaus gefahren. Ich war sehr überzeugt, dass die Helferinnen und Helfer alles für meinen Mann tun werden. Ich bin eine Runde mit den Hunden spazieren gegangen, um mich etwas zu beruhigen. Außerdem habe ich Stephans Tochter angerufen, die nicht weit entfernt lebt. Ich wusste ja nicht, was mit meinem Mann, ihrem Vater, passiert. Ich hätte es mir nicht verzeihen können, ihr erst im Nachhinein von der Situation zu erzählen.

Wann haben Sie ein Signal aus der Klinik bekommen, wie es Ihrem Mann geht?

Nadine Maaß: Um halb 6 rief mich der behandelnde Arzt an. Er erklärte mir, dass die Ursache für den Herzstillstand, eine verstopfte Hauptader, beseitigt bzw. geöffnet, mein Mann stabilisiert und am Leben sei. Von mir fiel sehr viel Anspannung ab. Dann erst habe ich angefangen zu realisieren, was die Nacht mit mir – körperlich und mental – gemacht hatte. Es war ein ‚irrsinniger Stress‘. Es gibt keine vergleichbare Situation. Ich war jedoch die ganze Zeit sehr klar, trotz allem strukturiert und immer fokussiert. Als Botschaft ist es mir wichtig zu sagen: Trotz des extremen Stresses MUSS man helfen, egal ob es sich um die eigene Familie oder Fremde auf der Straße handelt.

„Man kann nichts falsch machen, außer nichts zu tun.“

Die betroffenen Menschen sind entweder bereits tot oder werden sterben, wenn man die Zeit bis zum Eintreffen des Rettungswagens nicht überbrückt.

Stephan Maaß: Ich habe dich um 9 Uhr angerufen.

Nadine Maaß: Richtig. Mein Mann rief mich um 9 Uhr an und wollte wissen, was denn passiert sei und wieso er im Krankenbett liege.

Stephan Maaß reitet auf einem Pferd.

Was haben Sie, Herr Maaß, denn von der Situation mitgekriegt?

Stephan Maaß: Wirklich gar nichts. Ich habe morgens beim Aufwachen festgestellt, dass das nicht mein Bett ist. Es fühlte sich anders an. Und eine Krankenschwester stand im Zimmer. Ich habe dann angefangen, Fragen zu stellen. Ich sage heute: Ich war tot, ein paar Stunden dazwischen – und bin heute vollständig wiederhergestellt. Ich habe keine Beeinträchtigungen. Ich war 10 Tage im Krankenhaus, danach 4 Wochen in einer Reha-Einrichtung, bevor ich Ende April 2022 wieder meine Arbeit aufgenommen habe. Nach 277 Tagen saß ich zum ersten Mal wieder auf meinem Pferd. Schauen Sie hier, das ist ein Foto von diesem Ereignis. [Herr Maaß zeigt uns ein Handyfoto von sich auf dem Pferd.]

Dass Sie das so erinnern, muss bedeuten, dass dieser Moment für Sie ein besonderer war.

Stephan Maaß: Absolut. Grettir ist ein besonderes Pferd. Wir bilden eine Einheit, wir passen gut zusammen und harmonieren sehr gut. Er ist auf mich fixiert und ich auf ihn. Ich spreche mit ihm – und ich habe das Gefühl, er versteht mich. Ich habe ihm erklärt, dass er aufpassen muss, sich nicht zu sehr freuen darf, mich zu sehen, weil ich keinen Schutz auf der Brust habe. Nach der Reanimation war mein Brustkorb salopp gesagt ‚Matsche‘. Mein Brustbein und 6 Rippen waren gebrochen. Ans Reiten war also erstmal nicht zu denken. Ich musste wieder fit werden. Ich habe ad hoc aufgehört zu rauchen – und habe angefangen zu laufen. Für mich war wichtig, dass ich nach dem Geschehen wieder lachen kann. Denn ich lache gerne – und bin nach wie vor positiv dem Leben gegenüber eingestellt. Das erste Mal auf dem Pferd war DAS Zeichen für meine Genesung.

Leben Sie heute anders?

Stephan Maaß: Ich laufe seit der Reha. Immer gegen und mit der Uhr. Ich prüfe sehr genau, ob Herzschlag & Co. in Ordnung sind – und weiß somit, bis wohin ich belastbar bin. Ich habe bereits zweimal am Firmenlauf teilgenommen – im letzten Jahr noch im Zeichen des Geschehens, in diesem Jahr schon sehr viel bewusster. Mir geht es dabei nicht ums Gewinnen, sondern darum, dass ich so fit bin, mir einen 6-Kilometer-Lauf zuzutrauen und gut im Ziel anzukommen. In diesem Jahr hat mich meine Tochter begleitet. Auch für sie war es ein emotionaler Moment, mich über die Zielgerade kommen zu sehen. Bei meinem Arbeitgeber unterstütze ich das Thema Erste Hilfe ebenfalls aktiv. Ich setze mich für Schulungen der Kolleginnen und Kollegen ein.

Stephan Maaß streichelt ein Pferd.

Hat sich ansonsten etwas für Sie verändert?

Stephan Maaß: Wir sagen sehr viel öfter Danke. Denn wir, da kann ich auch für meine Frau sprechen, sind den Menschen, die uns geholfen haben, sehr dankbar – aber auch dankbar für viele kleine Alltagssituationen.

Nadine Maaß: Wir haben uns natürlich bei dem Klinikpersonal direkt bei der Entlassung meines Mannes bedankt. Aber auch bei der Feuerwache Dorsten. Wir haben Kuchen und einige Kleinigkeiten des Danks vorbereitet und mitgenommen – und wurden von dem ganzen Team empfangen und durch durch die Wache geführt. Uns hat sehr gefreut, dass Menschen dabei waren, die den Einsatz im Januar 2022 erlebt hatten. Um es offen zu sagen: Es hätte keiner Präsente bedurft. Ein ehrliches und persönliches Dankeschön können sie ohnehin nicht aufwiegen. Leider haben wir erfahren, dass die Mitarbeitenden ein solches Dankeschön nicht häufig hören. Mein Mann und ich haben die Einstellung ‚Ja, diese Menschen machen ihren Job. Sie tun aber wesentlich mehr als das.‘ Das wollten wir würdigen – und tun es an ganz vielen Stellen im Alltag. Jedes Jahr zu Weihnachten führt die letzte Gassirunde mit unseren Hunden am Krankenhaus vorbei, wo wir einen Kuchen für das Personal abgeben. Danke zu sagen, das ist uns ganz wichtig. Und wir würden uns freuen, wenn es mehr Wertschätzung gegenüber allen Menschen, die für Menschen arbeiten, geben würde.

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